Einführende Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Assoziationen“ von Sebastian Heiner in der Jodokuskirche in Bielefeld am 9. Mai 2015. David Riedel

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Sebastian,
es freut mich sehr, heute Abend mit Ihnen die Ausstellung „Assoziationen“ von Sebastian Heiner in der Jodokuskirche eröffnen zu können. Damit findet er zum zweiten Mal eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Kreuzgang der Kirche statt und mit Sebastian Heiner stellt nun ein Künstler aus, dessen Werk eine engere Verbindung mit diesem Ort hat, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint, und dessen Werk dennoch weit über den Ausstellungsraum hinaus reicht. Als ich vor knapp drei Wochen mit dem Wissen, hier diese Ausstellung mit Bildern von Sebastian Heiner zu eröffnen, die Jodokuskirche betrat, erschienen mir die Räume hell, weit und „aufgeräumt“, voller Sichtachsen und markanter Orte. Aus meiner Schulzeit, und das reicht schon etwas zurück, hatte ich die Kirche eher dunkel und eng in Erinnerung. Eine Ausstellung und damit zeitgenössische Kunst in die Räume der Kirche und besonders in den hellen Kreuzgang zu holen, wirkt für mich wie ein konsequentes Anknüpfen an die Bemühungen, die Räume der Kirche und auch ihre Fassaden zum Klosterplatz und zur Obernstraße, dauerhaft mit Werken moderner Kunst auszustatten und auszuschmücken.

Dabei möchte ich vor allem auf den vor einigen Jahren neu gestalteten Eingangsbereich der Kirche hinweisen, wo zwei kleine, aber ausdrucksstarke Skulpturen des Heiligen Georg und des Heiligen Franziskus den Besucher, geschickt in Szene gesetzt, empfangen, und ebenso meine ich damit das Kirchenschiff, mit seinen monumentalen, farb‐ und bildmächtigen figürlich gestalteten Glasfenstern. Geschaffen hat diese Werke der Großvater von Sebastian Heiner, Wilhelm Heiner, dessen 50. Todestag vor wenigen Tagen mit einem Gottesdienst in der Piuskiche und einer kleinen Ausstellung in Bielefeld‐Senne begangen worden ist: Eine die Ausstellung nicht bestimmende, aber schöne Nähe zweier Künstler.

Um damit zu einigen Worten zur Biografie des Künstlers zu kommen, Sebastian Heiner wurde in eine künstlerisch und musisch interessierte und begabte Familie geboren, das geschah allerdings nicht in Bielefeld, sondern 1964 in Berlin. Sein Leben und sein Werk scheinen nicht durch diese ostwestfälische Herkunft geprägt, doch gibt es gute Verbindungen, zum Beispiel zu hier lebenden Verwandten und Freunden, von denen Sebastian Heiner in unseren Gesprächen vor der Eröffnung überraschend viel gesprochen und die heimatlichen Wurzeln damit eher betont als abgestritten hat. Auch das gibt mir das Gefühl, dass seine Ausstellung hier einen guten Raum gefunden hat. Sebastian Heiner besuchte von 1984‐1991 die Berliner Hochschule der Bildenden Künste, genauer gesagt die Klasse von Klaus Fussmann, eines Malers, der vor allem mit Gemälden von Landschaften und Blumen in kraftvoller Malerei und starker Farbigkeit berühmt geworden ist. Sebastian Heiners Weg als Maler war damit vorgezeichnet, und er führte ihn in den 2000er‐ Jahren mehrfach in die Ferne, in die ostasiatischen Ländern, nach Japan, nach China, hier unterhielt er von 2004 bis 2008 ein Atelier in Peking, schließlich 2010 und 2011 nach Shanghai, dann nach Bangkok und in den letzten Monaten nach Israel und Jordanien, ferne Orte, die im Werk des Künstlers keine direkten Motive, aber in seinem Denken, Argumentieren und Leben ihre Spuren hinterlassen haben.

In den 1990er‐ und frühen 2000er‐Jahren bestimmten figürliche Darstellungen sein Schaffen, Einzelpersonen und Gruppen, doch immer stärker eroberte sich die Abstraktion den Platz auf seinen Leinwänden. Diese Eroberung scheint nicht abrupt gekommen zu sein, aber nach und nach werden die auf Heiners Bildern jener Zeit auftauchenden Figuren immer stärker mit Farbspuren übermalt, die Farben über ihre Körper verwischt und vermischt, und diese schließlich soweit überdeckt, dass nur noch Gliedmaßen, Hände oder Fü.e zu sehen waren, eine zunehmende Überlagerung der Figuren durch Abstraktion, wie man sie aus Bildern von Willem de Kooning oder Asger Jorn kennt. In dieser Zeit kamen auch neue, etwas trashig wirkende Materialien, nämlich industriell‐hergestellte, gemusterte Stoffe oder Teppiche als Maluntergrund in Heiners Werk auf, oder, der klassisch rechteckige Umriß der Leinwand wurde durch eine Sternform regelrecht gesprengt, ein Werk aus dieser Serie können sie in der Ausstellung sehen.

Die Entwicklung zu ganz abstrakten Bildfindungen ist nun auf den zwölf Bildern dieser Ausstellung zu sehen, allesamt in den letzten Monaten im Berliner Atelier entstanden. In ihren klaren Farben und ihrer Präsenz heben sie sich deutlich von den weißen Wänden des Kreuzgangs ab und treffen dabei auch auf die Stationen des in St. Jodokus so außergewöhnlich „bild‐losen“ oder eben auch monochrom‐„abstrakten“ Kreuzweges. Und so wie man die Szenen des Kreuzweges in die dunkelgrauen Tafeln hineinsehen muss, so sind auch Sebastian Heiners Bilder Aufforderung zur Assoziation. Dabei sind die kurzen, oft geografischen Titel, vielleicht ja weitere Sehnsuchtsorte des Künstlers, eher grobe Orientierung, nach der Fertigstellung der Bilder vom Künstler gewählt und keinesfalls Schlüssel bei der Suche nach tieferliegenden, symbolischen Bedeutungen.

Wie diese Bilder Sebastian Heiners entstehen ist auf der Homepage des Künstlers in einer eindrucksvollen Abfolge von Fotografien zu sehen, Stills aus einem Video, das während des Malens an einem Bild entstanden ist. Durch eine Beschreibung dieser Fotos gelingt es mir vielleicht, Ihnen das Entstehen der Arbeiten Sebastian Heiners näherzubringen. Denn nach „Arbeit“ sieht es auf den Fotos aus: Man sieht zunächst einen Atelierraum, in dem sich ein regelrechter Teppich aus Farbresten, farbverschmierten Papieren und Arbeitsmaterialien auf dem Fußboden gebildet hat, es erinnert mich ein wenig an die berühmten Fotografien des Ateliers von Francis Bacon. Dann taucht der Künstler auf, zunächst ordentlich, dann in einen farbverschmierten Overall gekleidet, um eine schwarz grundierte Leinwand an die Atelierwand zu hängen. Die Ölfarbe wird dann direkt aus Tuben gequetscht oder aus Eimern gegriffen, auf einem Foto der Serie tritt Sebastian Heiner mit dem Fuß auf eine Farbtube: Das z.hflüssige Mal‐Material wird zunächst auf die Leinwand gedrückt, manchmal geworfen, und dann bearbeitet. Denn auf den nächsten Bildern wird die in die Mitte der Leinwand gesetzte Farbe mit einem breiten Spachtel oder Rakel, mit Hilfe der Hand und des Unterarms verrieben, in freie, zumeist kreisende Farbspuren und –formen, dann kommt mehr Farbe auf die Leinwand, und dann ersetzt ein Besen, die Kante eines Stückes Pappe, hin und wieder wohl auch eine Fliegenklatsche, eigentlich alle im Atelier auffindbaren Gerätschaften den Pinsel und der Körper des Künstlers kommt zum Einsatz. Mit impulsiver Geste wird die Farbe weiter verstrichen, vermischt, verwirbelt, übereinandergelegt, verkratzt, übermalt oder aus tiefer liegenden Farbschichten hervorgeholt, zumeist sind es wellenförmige Schwünge aus Farbe, auf einigen Bildern explosiver und dynamischer und auf anderen Bildern statischer und ruhiger aufgetragen wirkt, der Farbauftrag lässt das Auge jedoch immer über die Leinwand gleiten, stocken und weiterschweifen…und so auch den Betrachter am Prozess der Arbeit teilhaben lässt. Natürlich wird dies auch die Haptik der Bilder verstärkt, der Glanz und die reliefartige, centimeterdicke Struktur der Farbe und auch – und das war eigentlich mein erster Gedanke und meine erste Befürchtung – durch den ganz eigenen Geruch der Ölfarbe.

All die erwähnten Werkzeuge arbeiten die Farbe aus der Mitte des Bildes heraus über einer monochrom farbigen Leinwand und schaffen auf ihr eine reliefartige Farbschicht. Bei aller scheinbaren malerischen Freiheit findet man doch immer benennbare Formen und eine, zwei oder drei dominante Farben, die dem Bild Halt geben. Ohne dies überm..ig betonen zu wollen, aber auch darüber habe ich mit Sebastian Heiner gesprochen: Es sind oftmals die Farben, die mir sofort in den Sinn kommen, wenn ich an die mir bekannten Gemälde von Wilhelm Heiner denke: ein klares, warmes Gelb, ein helles, aber mattes Blau und ein leuchtendes Rot, Farben, die als kleine, aber starke Farben in den Bildern auftauchen. Das mag Zufall sein…

Die leuchtenden Farben der Hintergründe sind es nicht, denn sie sind Ausdruck der Stimmung des Künstlers, sie geben den Ton des Bildes vor und verstärken oder beruhigen dabei die gewählten Farben und die Intensität der somit auch expressiven Malerei. Durch die Hintergründe bleibt auch bewusst eine Art farbiger Rahmen bestehen, ein „All‐Over“ der Leinwand, ein völliges Verdecken, was auf früheren Bildern noch zu spüren war und wie es auch die Kunstgeschichte wohl am besten von Jackson Pollock und den berühmten Fotografien der Arbeit an seinen Bildern kennt, wird deutlich vermieden, die neuen Bilder wirken im wahrsten Sinne des Wortes konzentrierter, entschiedener. Dazu kommt: Heiner arbeitet nicht so berserkerhaft wie es gerade geklungen haben mag und auch wenn er über seine Werke spricht, spricht er ruhig, über die Konzentration beim Arbeiten, dass ein Bild auf dem farbigen Untergrund wie aus dem Nichts und zwar innerhalb weniger Stunden entsteht, allerdings selten in einem Stück, sondern dass Pausen und immer wieder neues Ansetzen dazugehören. Auch das kann man den Werken ansehen.

Heiners Malerei, damit spreche ich von den jetzt hier ausgestellten, ganz neuen Bilder, scheinen mir ein nächster konsequenter Schritt in seinem Werk und seiner eigenständigen Auseinandersetzung mit den in der Kunstgeschichte immer weiterentwickelten Formen der gestischen Abstraktion, besonders mit dem in Deutschland und Frankreich entwickelten Informel oder dem Tachismus. Dass er sich für die Künstler des Informel, für Emil Schumacher, aber auch für deren amerikanischen Zeitgenossen begeistern kann, steht außer Frage und doch versteht man die Bilder wohl falsch, wenn man allein Pollocks berühmtem Zitat folgt: „Wenn ich mich im Bild befinde, ist mir nicht bewusst, was ich tue“. Heiner gestaltet zwar gestisch, vielleicht impulsiv, aber mit zunehmender Arbeit am Bild auch zunehmend bewusst. Es ist keine Malerei, die in einer unüberlegten Materialschlacht endet. Seine die Figürlichkeit erprobenden Anfänge, die Hinwendung zur Abstraktion und schließlich die neu entstandenen Bilder mit ihrer Konzentration auf eine gestisch‐abstrakte Malerei während der letzten Jahre haben zu Bildern geführt, die bei mir ein anderes Künstlerzitat, nämlich von Carmen Herrera, in Erinnerung rufen, mit dem ich schließen und mich für ihre Aufmerksamkeit bedanken möchte: „Jedes Bild ist aus einem Kampf zwischen dem Bild und mir entstanden. Und ich habe vor, zu gewinnen.“

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