Sutida und Sebastian: Wir sind für einen dreitägigen Ausflug an das Meer gefahren. 300 km weit von Bangkok entfernt bewohnen wir für zwei Nächte, ein einfaches, aber gemütlich eingerichtetes Bungalow.
8.00 Uhr. Lautstark höre ich den Klingelton meines Handys! “Sebastian”, erscheint auf dem Display. Obwohl Sebastian im Nebenzimmer wohnt, macht er sich einen Scherz, mich anzurufen!
Beim Frühstück sitzend, gucken wir beide, während wir unseren morgendlichen Tee genießen, auf das weite Meer hinaus. Der diesige, hellgraue Himmel vermischt sich am Horizont mit dem türkis leuchtenden Meer. Ganz klein ist eine Insel zu erkennen. Sie durchbricht die Horizontlinie. Sebastian schaut zu mir herüber und sagt: “Na, Sutida!”. Und ich antworte: “Na, Sebastian!”. Unser wenig wortreicher Dialog bezieht sich auf unseren Plan, den wir gestern beschlossen hatten. Unser Plan ist, ein kleines Boot zu mieten und auf die Insel zu rudern. Umgezogen stehen wir wenig später, in unseren Badesachen, vor dem Bungalow, schließen die Türen und geben die Schlüssel an der Rezeption ab. Trotz des Handtuchs, welches ich mir um meinen Körper gelegt habe, fühle ich mich nackt, verletzbar. Ein ungewöhnliches Gefühl, welches sich nur selten auf meinen Reisen einstellt. Als Sebastian und ich das schmale Boot zum Meer tragen, hält uns plötzlich die freundliche Putzdame vom Hotel an. Sie winkt aufgeregt, ihre Arme wirbelt sie in der Luft, sie wiederholt ganz aufgeregt, immer die Worte: “Loch, Loch, hier!”. Wir nicken und bringen das beschädigte Boot zurück. Traurig über diese Mitteilung laufen wir zum Meer zurück. Das Rauschen der Wellen, seicht brechen sie in der Brandung, die angenehm warme Temperatur an unseren Fußspitzen, wir brauchen nur noch einzutauchen und uns dem leichten, schwerelose Gefühl hinzugeben. Wir tauche ein und schwimmen. Außer uns ist kein Mensch im Wasser. Eine ausländische Frau, braun gebrannt, joggt am Strand entlang. Eine Thailänderin sitzt auf einer Treppenstufe nicht weit vom Strand entfernt. Außer diesen zwei Menschen sehe ich jetzt nur noch unsere beiden Handtücher an einem Ast hängen, an einem Baum, der sich immer weiter entfernt. Ich schaue zu Sebastian. Ich habe keinen Boden mehr unter meinen Füßen. Jetzt wird es ernst! Während unsere Köpfe aus den Wellen auftauchen, fragt Sebastian mich plötzlich: “Sollen wir es weiter versuchen?”. Seine Frage ist so sinnlos! Die Insel erscheint uns sehr klein und sehr weit entfernt. Das Salzwasser, die leichte Kraft der Strömung, die sanften Wellen sind nun keine Argumente mehr, aufzuhören, weil wir anfangen, die Geschwindigkeit des Schwimmens, unsere Ausdauer, Zeit und Entfernung, zu berechnen, um anzukommen. Wir fragen uns gegenseitig, ob es uns gut geht. Dann schweigen. Wenn wir die gleichmäßige Atmung des Anderen, durch Verschlucken oder kurzes Untertauchen, auch wahrnehmen, wir geben uns Mut. “Konzentration, Sutida!”, wiederholt Sebastian, ab und zu, aber etwas monoton geworden. Keine Dialoge mehr zwischen uns, nur Sätze, die möglichst motivierend klingen oder eine kurze Frage: “Alles gut?!”. Mich durchströmen jetzt viele, sehr unterschiedliche Gedanken. Aber dann versuche ich mich an den größten, alles umfassenden Gedanken, zu klammern: Meine Existenz! Das großartige, wundervolle Leben! Ein Ziel im Leben verfolgen! Ja, eine unbekannte Insel erreichen wollen! Ein Ziel. Im Leben. Eine Insel. Meer. Salziges Wasser. Ich teile in gleichmäßiger Bewegung das Meerwasser. Unter mir die unbekannte Tiefe des Ozeans. Während des Schwimmens prüfe ich, ob ich Boden unter meinen Füßen erreichen könnte, aber das ist schon lange Vergangenheit. Einen kurzen Moment lang, habe ich aber ernsthaft überlegt, unterzutauchen und es nachzuprüfen. Also, denke ich wieder, wichtig ist es, ein Ziel im Leben zu verfolgen, es niemals aus dem Blick zu verlieren, mit all meiner Kraft, die ich besitze, Ausschau zu halten. Ach, Wasser, unbekanntes Ungeheuer! Meine Schwimmbewegungen aber tragen mich. Das Brustschwimmen ist Bewegungsmotorik geworden, wie Fahrradfahren oder joggen. Automatismus. Ich bin leicht erschöpft. Meine Gedanken fliesen so schön gleichmäßig durch meinen Kopf, ich schließe meine Augen. Ich konzentriere mich auf meine Bewegungen und natürlich, auf meine Atmung. Schließlich muss ich ja nur geradeaus schwimmen. Als ich meine Augen öffne, bin ich überrascht! Der Abstand zu Sebastian ist nicht mehr derselbe geblieben. Ich habe mich zu weit nach links treiben lassen. Ich bin überrascht, besser ich schliesse wieder meine Augen. Und drifte weiter ab. Im Leben ist es so wichtig, alle Sinne ganz, ganz wach zu halten! Aber da ist sie plötzlich! Die kleine, so wunderschöne, ach, entzückende Insel! Sebastian!? Ich spüre den Boden unter meinen Füßen. Spitze, kleine Felsen sind von scharfkantigen Muscheln belagert. Jetzt versuche ich aufrecht im Wasser zu stehen. Wie schwer mein Körper ist. Er wird von kleinen, kurzen Wellen umgeworfen. Nur schwer finde ich wieder eine Balance. Langsam tasten wir uns weiter, der Inselstrand ist jetzt ganz nahe. Es ist geschafft! Wir umarmen uns. Wir sind so stolz und lächeln. Die Insel ist so klein! Noch viel kleiner, als ich sie mir vorgestellt habe. Ich betrachte die schmale Sandfläche, die für maximal vier Liegestühle reicht. Nur Felsen: Dunkelgraue, grobe Felsen. Aber ein wunderschöner Baum. Ein kleiner Baum, der nicht viel größer ist, als ich selbst. Seine zottlige Krone ist vom Wind ganz wagerecht gekämmt worden! Ich suche mir einen Platz zum sitzen. Meine Haut ist ganz aufgeweicht. Meine nassen Haare im Nacken fühle ich, wie schwer sie geworden sind. Da sehe ich plötzlich einen Krebs. Seine Panzerschale ist farblich ganz den Steinen angepasst. Sobald eine neue Welle in der Brandung bricht, versteckt er sich, taucht aber wieder auf. Ich frage mich: Was sollen wir tun? Diese Insel! Die so steinig ist! Ich fühle mich hier nicht mehr wohl! Nirgendwo kann ich mich hinlegen. Oder entspannen! Ich bin müde. Ich mache mir auch keine Illusionen mehr. Da rufe ich Sebastian: “Komm mal rauf! Hier ist ein kleiner Krebs!”. Sebastian steht hinter dem Felsen, da er keine Möglichkeit findet, sich hinzusetzten. Gemeinsam schauen wir dem Krebs zu, wie er sein Versteckspiel in den Wellen fortsetzt. Ich will endlich mein Schweigen brechen und Sebastian all meine Gedanken mitteilen. Aber ich sage nur: “Und jetzt sind wir hier!” Trotzdem, mit diesem einfachen Satz, finde ich Erleichterung. Als ich gerade mit einem neuen Satz beginnen will, nimmt Sebastian, ich fühle ganz deutlich seine Anspannung, meine, noch unausgesprochen Worte, vorweg. Er blickt mich an und sagt: “Der Weg ist das Ziel!” Dann sagt er, etwas ängstlich: “Wir müssen wieder zurück schwimmen!”.