1988-03-23 | TAZ – Spitze Tüten

Die Kunststudenten Mulfinger, Heiner und Spiller in der Hochschule der Künste
Katrin Bettina Müller

Vom Schuh bis zum Sockenhalter, vom Hut bis zur Krawatte, vom Korsett bis zum Straps – selbst der hinterletzte Alltagsfetisch findet im Moment seinen Kulturgeschichtsschreiber. Textiles als sittengeschichtlich verräterisches Material näht Jane Mulfinger in ihren Objekten zusammen. Die „Reclining Nude or Trümmerfrau“ ist ein obskures Objekt aus Korsetts und Büstenhaltern zusammengeflickt. Die Unterwäsche strahlt keinerlei erotischen Reiz mehr aus: die Festigkeit des Materials dient nur noch der Bändigung einer sonst formlosen Masse, und die ehemals glänzende, jetzt angeschmutzte Oberfläche mit ihren spitzen Tüten wendet sich aggressiv nach außen und panzert den Leib. Das Material erzählt von den paradoxen Heimlichkeiten des Körpers, seinen verborgenen Eßgelüsten und künstlichen Aufbereitungen der Form. Mulfingers Objekt decouvriert die Heimlichkeiten und verlacht sie durch seine Montrösität als vergeblich.

Eine Familie, die sich zum Fotografiert-werden aufgebaut hat, hat Mulfinger aus Krawatten gewickelt. Auf den ersten Blick sieht die Gruppe lustig aus, farbenfroh, bewegt, die Krawattenenden flattern. Aber mit diesen buntgemusterten Zivilisationsstricken sind die Personen gefesselt; blind, taub und stumm ihre bandagierten Köpfe. Deutlicher noch zeigt sich der Aspekt der Fesselung bei den schottischen „Clansmen“: in großkarierten Jacketts und Hosen sind vier Männer wie ein Bündel Lumpen zusammengebunden. Auch ihre Köpfe bestehen nur aus karierten Tüchern. Was als Accessoire der Persönlichkeit gedacht war, begräbt diese unter sich. Der Mensch wird von seinen Fetischen verschlungen. Mulfingers scheinbar so lustige Objekte treiben ein makabres Spiel mit den Errungenschaften der Zivilisation.

Die Figuren von Sebastian Heiner sind zu Strichen zusammengeschnurrt oder aufgeblasen wie Ballons. Mehr noch als in dem chaotisch bunten Panoptikum seiner gemalten Figuren hat Heiner in den Bleistift-Zeichnungen eine kindlich-grausliche Phantasie illustriert. Die kleinen Horrortrips beginnen am Familientisch nach dem Abendessen: erschrockene Augen glotzen. In dunklen Innenräumen, unübersichtlich, verschachtelt und verschlossen, ereignen sich pubertäre Alpträume. Mit allen Grausen aus Alices Wunderland wachsen und schrumpfen die Figuren, verwirren sich beängstigend die Größenverhätnisse. Ein animalistischer Geist fährt in die Dinge: überall grinsen böse Gesichter.