1998-04-07 | Berliner Morgenpost – Sebastian Heiners schemenhafte Figuren in sattem Rot

von Nikola Henze

Sebastian Heiners Einzelausstellung in der Galerie Fine Art „Rafael Vostell” fängt gut an: Noch vor der Vernissage wurde das größte Gemälde mit dem fast programmatischen Titel „Aufbruch II“ für 23 000 Mark gekauft. 205 mal 420 Zentimeter mißt das Ölbild, auf dem sich krapplackrote Figuren vor zinnoberrotem Feld tummeln. In fast allen ausgestellten Arbeiten herrschen Rottöne vor, dominieren aber nicht über die Form der Figuren. Letztere lassen an Menschenmengen oder organische Ansammlungen denken. „Ich versuche die figürliche Welt zu abstrahieren, lasse Gestalten mal deutlicher auftauchen, dann wieder abtauchen“, erklärt der Meisterschüler von Klaus Fußmann an der Hochschule der Künste die relative Unschärfe, die wie ein Nebelschleier über den Kompositionen liegt.

Das Schemenhafte seiner Figuren ist gewollt. Heiner trägt zentimeterdicke Ölfarbe auf die Leinwand auf und bringt sie mit Terpentin wieder zum Zerfließen. Großen malerische Gesten setzt er stumpf aufgetragene Farbflächen entgegen, die seine Figuren geradezu schüchtern umkreisen. Bildnerisch betrachtet schafft der Künstler damit einen lebendigen Kontrast von Zweidimensionalität und Räumlichkeit. Die Figuren gewinnen an Volumen, ohne aus dem flächigen Umraum zu knallen. Inhaltliche geht es um die Frage der Annäherung: Wie können die Bildgestalten – stellvertretend für reale Menschen – einander begegnen, welche Freiheiten erlaubt ihnen der Umraum? In einem Interview hat Heiner seine Bilder einmal mit Kindern verglichen: „Sie müssen hinaus in die Welt“, sagte er. Sicherlich meinte er damit auch. Sie müssen dann noch wachsen und sich bewegen, wenn sie fertig gemalt sind. Heiner läßt ihnen durch schemenhafte Umrisse diesen Entwicklungsspielraum. So können sie im „Reigen“ die Dynamik von bohrenden Würmern entwickeln oder „Die Vögel“ sich im raumgreifende Baumäste verwandeln.

In bemalten Skulpturen aus Draht, Holz, Stoff und Leim versucht Heiner seine Bildgestalten zu konkretisieren – allerdings um den Preis, daß ihre tatsächliche Unbeweglichkeit umso deutlicher zum Ausdruck kommt.