2008-04-10 | Art Net: Marlboro-Mann der Kunst

Aussenminister Steinmeier macht den Rundgang durch Berliner Galerien
von Henrike Thomsen

Dass Yongbo Zhao aus der Mandschurei stammt, sieht man seiner Kunst nicht an. Seit er 1991 mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Leipzig und später nach München kam, hat er sich in das Studium der klassischen europäischen Malerei versenkt. In seinen Gemälden und Grafiken überlagern sich die Referenzen an französische Boudoir-Malerei, an Gustave Courbets Realismus und Francisco de Goyas Alptraumszenarien. So sehr, dass Frank-Walter Steinmeier sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte: „ Es ist so überadaptiert, dass nicht Chinesisches mehr übrig ist.“ Das allerdings sagte der Außenminister bei seinem semioffiziellen Rundgang am­ Mittwochabend im Berliner Galerienviertel um den Checkpoint Charlie nur zu einigen Umstehenden. Bei seiner Ansprache in der Galerie von Werner Tammen hatte er anders geklungen: „Wie phänomenal hier ein chinesischer Künstler klassische europäische Malerei in seine chinesischen Traditionen übersetzt – das ist beängstigend europäisch.“

Auch sonst lag das Interesse der Veranstaltung stark in dem, was Steinmeier nicht laut sagte. Der Leiter der Berlinischen Galerie, Jörn Merkert, unternahm anfangs bei seiner Führung durch die Emilio-Vedova-Ausstellung den Versuch, von seinen Finanzsorgen bei Ankäufen zu erzählen. Ein umfeilschtes Bild von Georg Baselitz führte er geflissentlich vor. Der Minister hörte gleichmütig lächelnd zu. In der Galerie Gebr. Lehmann dürften ihm zwischen den Skulpturen von Lara Schnitger die anzüglichen Fotoarbeiten an den Wänden nicht entgangen sein: Pornodarstellerinnen in aufreizender Pose, kombiniert mit Säuglingen in bedürftiger Erwartung. Steinmeier lächelte und beschied der späteren Nachfrage nach seinen Eindrücken: „Ich muss mal allein mit meiner Frau wiederkommen.“

Wie er weitgehend stumm, im Anzug ohne Mantel, durch den kalten Aprilregen stapfte, machte er eine zugleich bodenständige und unnahbare Figur. Der „Marlboro Man“ der Kunst: Hart aber mit Herz für die Sache (und beim anschließenden Empfang in der Galerie Tammen munter rauchend) – das war wohl das Bild, das seine PR-Strategen vermitteln wollten. Ein Gegenbild zu seinem Amtsvorgänger Joschka Fischer, der für seine geringe Liebe zur „dritten Säule der Außenpolitik“ in Form der Auswärtigen Kulturarbeit berüchtigt war.

Das gefiel offenbar nicht nur den zahlreich erschienenen Berliner Galeristen sondern auch dem Schauspieler Dominique Horowitz, dem Regisseur Detlev Buck, der Literaturagentin Karin Graf und dem Chef der Berliner Festspiele, Joachim Sartorius. Gegen 23 Uhr diskutierten sie in lebhaften Grüppchen rund um den sybillinischen Minister. Im Nebenraum saß unterdessen Yongbo Zhao bei seinen Bilder. „Als ich hörte, dass unser Vizekanzler hierher kommt, war ich sehr aufgeregt“, sagte er auf Deutsch. „Es ist in der Künstlerszene bekannt, dass er sich für Kunst interessiert. Ein guter Politiker hält aber auch ein Auge darauf, denn dann weiß er, was passiert und wie er auf (…)