Sebastian Heiners Bilder in China

Sebastian Heiner ist ein Individualist, wie er im zeitgenössischen Kunstbetrieb selten zu werden scheint. Mit großem Ernst hat Heiner sich einer authentischen Vollblutmalerei verschrieben. Obwohl der Künstler phasenweise mal gestisch abstrakt, dann wieder gegenständlich arbeitet, ist seine Individualität immer offenbar, da seine Arbeiten besonders authentisch das Handwerk des Malens betonen. Sebastian Heiner bewundert die Kunstrichtung des Informel, zu seinen Heroen zählen Wols oder Emil Schumacher, die seit Mitte der 1940er Jahre die abstrakte Bildsprache mitgestalteten. Einige Künstlergenerationen später arbeitet auch Heiner im abstrakten Terrain und hat mit seinen emotional engagierten Arbeiten viele Sammler gefunden.

Künstler haben ein feines Gespür für die Möglichkeiten ihrer und unserer Lebenszeit. Sind Maler früher vielleicht nach Italien gereist, um die Antike zu studieren oder an den neuesten Entwicklungen dieser Kunsthemisphäre teil zu haben, ließen sie sich um 1900 länger in Paris nieder, um dort die Neuerungen der Kunstgeschichte und des modernen Lebens mit zu gestalten. Später war New York ebenso ein Magnet für künstlerische Urheber, wie es heute kreative Nomaden entweder nach Berlin oder nach China zieht. In keinem anderen Land vollziehen sich der kulturelle und soziologische Umbruch so unglaublich schnell. Sebastian Heiner, der schon lange mit der Szene in Berlin verwoben ist, hat seinen persönlichen Schaffensmittelpunkt nach China verlegt, genau dorthin, wo die Welt ein Epizentrum der Erneuerung hat. Seit 2004 hat der Künstler permanent ein zweites Atelier in China. Zuerst hat er in Peking gearbeitet und zuletzt in Shanghai, wo gerade die Expo stattfand und berühmte Architekten die Weltöffentlichkeit mit phantastischen Bauten begeistern. Sebastian Heiner ist dabei nicht der Künstler, der seine eigene Arbeit nur verpflanzt und andernorts malt, er hat sich auf chinesische Eigenheiten eingelassen und ganz unterschiedlich in sein Werk einfließen lassen.

Zum Einen hat sich Sebastian Heiner inspirieren lassen von Farben Chinas, zum anderen vom ständigen Aufeinandertreffen von Tradition und Erneuerung. In seinen neuesten Arbeiten hat sich Sebastian Heiner neben vielen freien abstrakten Arbeiten auch vermehrt dem Gegenstand zugewandt. Chinas Kultur ist die Inspiration zu einer neuen Serie, mit der er mühelos an die anspruchsvolle künstlerische Sprachform historischer, mythologischer und allegorischer Erzählbilder anknüpft. Heiner verbindet spirituelle und historische Elemente in der nur angedeuteten Ausstattung seiner Figuren, wie bei seinem Bischoff. Dieser Protagonist ist ein gutes Beispiel, für Heiners Arbeit.

Sebastian Heiner bildet keinen Bischoff ab, sondern lässt mit weisenden Gesten eine wichtige, einnehmende Figur erscheinen, die auf den Betrachter orientiert ist, feierlich und zugleich reich erscheint, ohne mit Details einer Ausstattung beladen zu sein. Es handelt sich um eine erzählte, vermittelte Realität jenseits der Illustration. In Hochformaten inszeniert Heiner Einzelfiguren von überzeitlich märchenhaftem Charakter. Seine Figuren stehen sicher auf der Erde, wie bei Zinnsoldaten oder Figuren aus Ausschneidebögen sind die Füße der Figuren im Profil zu sehen und stehen auf einer schmalen Raumbühne. Die Figuren ragen hoch auf und füllen meist das Format ganz aus. Im Profil zeigt Heiner zeitlos erhabene Figuren, Würdenträger, wie die Gesandten oder den vergessenen Prinzen, die allesamt in festliche Gewänder gehüllt zu sein scheinen. Waren seine Figuren der vergangenen Jahre eher starr und feierlich, wie während einer Prozession, so sind Heiners Figuren aus dem Jahr 2010 besonders lebendig, wie die vorwärtsdrängenden Gesandten. Eines der größten figurativen neuen Gemälde ist „Grüner Krieger, Roter Krieger“, das nicht nur auf Grund seines Formats eine unglaubliche Wirkung hat, auch die Farbmaterie ist von kraftvoll plastischer Quaität. Dieses Gemälde vermittelt besonders monumental die ungewöhnliche Sprachgewalt des Malers, der es versteht die Gegensätze zur Synthese zu führen und zugleich abstrakt und figurativ zu arbeiten. Sebastian Heiners Bilder der neuen Serie sind zugleich neu, und doch klassisch in der Wirkung.

Die Aktion hat in den letzten Jahren an Bedeutung für Sebastian Heiners Werk gewonnen, immer wieder hat sich Heiner, den man selbst als reflektierenden Gelehrtenmaler bezeichnen kann, nicht gescheut, vor Publikum zu malen und sich auch in China in Museen und Kunstinstitutionen beim Malen zuschauen lassen. Für die Anwesenden ist das mitreißend und interessant, schließlich malt Heiner längst nicht mehr nur mit dem klassischen Pinsel. Er malt mit allem, was ihm während seiner Zeit in China in die Hände gefallen ist, unter anderem mit Besen oder Fliegenklatsche. Gerade mit dem letztgenannten Utensil gelingen Heiner unglaublich intensive Strukturen und plastische Qualitäten. Manchmal schüttet der Künstler die Farbe auf die Leinwand oder wälzt pastose Ölfarbenwülste mit bloßen Händen über die Leinwände. Einige Zeit hat Heiner ausgesuchte chinesische Schriftzeichen in die Bilder aufgenommen, die er mit chinesischen Freunden ausgewählt hatte. In den neuesten Arbeiten sind diese offensichtlichen Bezüge zu China wieder zurückgetreten und geben der Phantasie wieder mehr Raum, um den Transfer der Kulturen in seiner atemberaubenden Malerei zu erleben.

Colmar Schulte-Goltz
kunst-raum essen schulte-goltz+noelte
Essen, Januar 2011