Sebastian: Das Licht ist nur noch ein gelblicher Schein der Straßenlaternen auf dunklem Asphalt. Die Silvesternacht hat begonnen. Sie zwingt mich nach draußen, auf die laute Straße hinaus, damit ich mich nicht ganz so einsam, im meinem kleinen Zimmer verschliesse. Nicht das ich etwas gegen Einsamkeit hätte, denn ich genieße es, alleine zu sein, ganz meinen Gedanken zu folgen, die gleichmäßig durch meinen Kopf strömen, leiser und ruhiger werden, bis ich nur noch ein Flüstern wahrnehme. Nach etwa einer halben Stunde, bin ich an einem kleinen Ort angekommen, wo ich hoffe, ein Restaurant zu finden, welches mir gefallen könnte. Diese Strasse habe ich gesucht, hier bauen kleine Händler ihre Essensstände auf. Kleine Läden sehe ich im matten Licht, kleine Ladenketten, die sich ihre Plätze erobert haben und nun konkurrieren. Viele, bunte Geldautomaten fallen mir auf. Die Straße ist voller Menschen, vielleicht hat sie es dem Hotel in der Nähe zu verdanken, das zwar im Schatten verborgen liegt, aber als Anziehungspunkt wirkt. Ich entscheide mich für ein Restaurant, das am Eingang mit großen, blassen Buchstaben wirbt. Ich lese “Steak”, aber eigentlich habe ich gar keine Lust ein Steck zu essen, denn billiges Fleisch wird überall auf den Straßen angeboten. Ich möchte ich nicht wissen, woher es kommt. Trotzdem entscheide ich mich für dieses Restaurant. Hier sitzen vereinzelte Ausländergruppen die lachen. Sie trinken Bier. Ich lasse mir die Speisekarte bringen, ein großes Buch. Die Speisen sind fotografiert. Ich bestelle mir einen gemischten Salat, einen Fisch und einen Eiskaffee. Die Kellnerinnen sind freundlich. Sie tragen kurze Röcke. Sie sprechen nur wenig englisch. Ein junger braun gebrannter Kellner versucht mir geduldig, die Zutaten meiner Bestellung zu erklären. Der Salat ist für mich gut zu essen, denn er ist nicht allzu scharf gewürzt. Einige Schalentiere kann zwischen dem Gemüse allerdings nicht zuordnen. Dann wird der Hauptgang serviert: Ein frittierter Fisch. Die blassen Augen schauen mich traurig an: “Hello, how you doing?”. Ich antworte: “Fische können nicht sprechen!”. Der Fisch ist zu einer Art Schale moduliert worden. Sein knuspriges Fleisch, in kleine Brocken zurecht geschnitten, alle einzeln frittiert, sind auf seinem rund gebogenen Körper sorgsam platziert. “Sehe ich nicht hübsch aus?”. “Wunderbar frittiert, so siehst Du aus!”, antworte ich trocken. “Ha, ha, ha! Ich singe Dir ein Lied aus meiner Heimat, dem weitem, großen, blauen Meer!”. “Du kommst nicht aus dem Meer, sondern aus einem verflucht dreckigen Aquarium! Du hast in deinem Leben nicht einmal grüne Wasserpflanzen gesehen!”. Ich stochere in seinem Leib herum und bemühe mich, ihn möglichst vollständig zu verspeisen. Immerhin ist er ja geboren, um Silvester gegessen zu werden. Nach einer Weile schiebe ich ihn beiseite und beschäftige mich mit meinem Handy. Ich suche nach Fotos, damit ich mich in meinen Gedanken verlieren kann. Dann bestelle ich ein Fruchtgetränk. Aber Litschifrüchte, die auf der Speisekarte abgebildet waren, sind in dem zerstampften Eis nicht zu finden. Die fremden Früchte in meiner Nachspeise schmecken bitter. Sie versinken im Wassereis. Da denke ich an den armen Fisch: Geboren, um einen Ausländer zu schmecken, dem er aber nicht geschmeckt hat. Was für ein trauriges Schicksal! Ich zahle, verlasse das Restaurant, finde ein Taxi und bin froh, bald wieder in meinem kleinen Zimmer zu sein. Da der Abend noch immer nicht auf Mitternacht zu gehen will, suche ich nach einer DVD. Ich entscheide mich für den Film “Iron Lady”, in dem Meryl Streep, Margaret Thatcher, spielt. Plötzlich wird die Musik auf dem kleinen Platz, nicht weit von unserem Wohnhaus, lauter aufgedreht. Der Countdown, endlich wird er angezählt. Ich laufe eilig zum Fenster: Viele Feuerwerke leuchten jetzt am Himmel. Aber ich hatte mehr erwartet. Bald wird es ruhiger. Auch in der Bar gegenüber. Aber die Ruhe dauert nicht lange. Jetzt fangen die wilden Hunde an zu bellen, um ihre Reviere abzustecken. Ich lege mich auf mein Bett und will nur noch ganz tief schlafen.