Die Unterkunft in den Hutongs von Beijing haben Michael und ich verlassen und sind einige Kilometer entfernt, in ein größeres Hotel umgezogen. Das Stockwerk, in dem wir wohnen, trägt einen schönen Namen: “Flower and Birds Floor”. Meine Tür ist türkisfarbig gestrichen und mit bunten Blumen und blauen Schmetterlingen dekoriert. Die Zimmerwände sind in einer grau-grünen Farbe getüncht und auf dem beige farbigen Teppich ranken braune, dornige Zweige. Hinter dem Fernseher schaut mich ein gemalter Vogel, auf einem Blütenzweig sitzend, mit dunklen Augen an. Neben dem Fenster steht ein Doppelbett auf einem Podest. Ich werfe mich gleich auf das Bett und schaue durch eine große Glasscheibe hinaus. Ein Baum wiegt sanft im Wind. Ich versinke in einen Halbschaf. So erschöpft bin ich…blicke ich auf die grünen, zarten Blätter, so leise sie im Wind schaukeln und glaube plötzlich ein Rascheln zu hören. Da sehe ich einen Geistervogel auf einem Ast sitzen…einen stolzen, wunderschönen Vogel in einem weißen Federkleid, er trägt eine goldenen Krone und singt ein so fremdartig trauriges Lied…und singt ein Liebeslied und von Frieden und Freundschaft…von einem großen, stolzen China…träume ich weiter…lauern hinter vielen Häusern, in verlassen, dunklen Straßen und kleinen Gassen, plötzlich böse Geister, die fremde Menschen hinabziehen, in die Unterwelt und niemanden, niemals, frei lassen, damit einsame Wanderer ewig umherziehen, von Stadt zu Stadt, braun gebrannt, mit dicken Schwielen an den Händen, niemals mehr, nirgendwo, ankommen werden. Eine feindlich, glühend, rote Sonne, wirft Lichtflecken an meine Zimmerwände. Ein schwarzer Vogel erscheint…er krächzt so laut. Mit seinen tiefen, dunklen Augen blickt er mich furchterregend an, als will er mit seinem langen, dünnen Schnabel auf meinem Brustkorb hämmern, mich abklopfen, um meine Menschenseele zu finden, damit er sie fressen kann…Der Baum vor dem Fenster ist ein so feinnerviges Geschöpf. Meine Empfindungen und Emotionen pulsieren in seinem weit verzweigten Nervensystem, so viele Äste und Zweige, zarte, helle Blätter sprießen, in den Adern fließt grünes Blut. Werden in den Zweigen lebenserhaltende Nährstoffe transportiert, damit sie unsere Träume tränken? Was suche ich nur? Wo bin ich? Auf dem großen Bett ausgestreckt blicke ich auf die gegenüber liegende Wand meines Hotelzimmers, sehe einen Fernseher, hinter dem ein Vogel auf einem Blütenzweig hockt und mich noch immer seltsam anstarrt. Der Baum rauscht leise im Wind. Plötzlich weht eine Windböe und wirbelt und drückt gegen die Glasscheibe. Wolken ziehen auf. Es regnet. Aber die Luft wird sich in dem Schauer reinigen. Ich versinke immer tiefer in einen Traum. Wohin wird mich meine Reise führen? Wo werde ich ankommen? Tiefe Ruhe fühle ich in mir aufsteigen und ich schlafe ein. Keine Träume mehr.