In einem neu eröffneten Museum sahen Michael und ich eine interessante Ausstellung. Über vier Meter große Skulpturen standen in einer Halle verteilt. Figuren, die keine Augen besitzen. Statt ihrer Augen sind im Gesichtsfeld kreuzende Linien gezeichnet. Diese blinden Riesen sind stigmatisiert! Es waren graue und schwarze Monster! Riesenhafte Mauswesen! Eine graue Maus fiel uns besonders auf. Sie hielt in ihren Armen zwei kleine Kinder. Eines der Kinder hatte die große Maus unter ihre Arme geklemmt. Wir fragten uns, hat diese Maus, die beiden Kinder gerettet oder gestohlen? Das war nicht eindeutig auszumachen. Das gigantische Mauswesen, männlich oder weiblich, eine Mutation in jedem Fall, trug große Schuhe und hatte Haare, die sich wie ein Fächer, um den Kopf faltete, schien uns davon rennen zu wollen! Holte die große Maus Hilfe oder rannte sie voller Furcht davon? War das seltsame Monster ein Retter oder ein Täter? Manchmal lagen sich die Mäuse auch in den Armen. Wir hatten keine Ahnung, ob sie sich vor Freude oder in Trauer umarmten oder miteinander kämpften! Je länger wir die Wesen betrachteten, umso geheimnisvoller erschienen sie uns. Nach dem Ausstellungsbesuch gingen Michael und ich mit einer Freundin aus Shanghai in ein Restaurant, in dem es die besten Dumplings der Stadt geben soll! Während des gemeinsamen Essens überfiel uns plötzlich eine ungeahnte Redelust! Wir sprachen über so viele Dinge. Wir fingen an, über die Geschichte unseres Landes nachzudenken. Unser Land, in dem wir geboren sind, welches einst, vor langer Zeit, in zwei Hälften geteilt war, hat eine bewegende Geschichte, fingen wir an zu erzählen. Der Grund der Trennung, riefen wir, heftig gestulierend, war der schreckliche Weltkrieg, der die gesamte Welt entzündete! Unser Land kämpfte mit unvorstellbarer Grausamkeit! Als der Krieg endgültig verloren war, teilte sich unser Land. Zwei Länder schlugen unterschiedliche Wege ein. Nach vielen, vielen Jahrzehnten, durch eine sich verändernde Welt begünstigt, fanden die Menschen zueinander, ohne erneut Blut zu vergießen und vereinten das geteilte Land wieder zu einem Land. Wir redeten und redeten. Wie kompliziert Aussöhnung ist! Wir versuchten uns zu erklären, warum unser Land keine Ruhe findet, warum wir Menschen nicht zufrieden sein können und wir niemals vergessen werden, was einmal in der Vergangenheit geschah. Die kollektive Schuld liegt zu tief in jedem Menschen verwurzelt und bleibt in unserem Gedächtnis verankert. Unsere Gespräche hatte sich in einem Feuer entzündet, wie im Fieber sprachen wir, leidenschaftlich und voller Enthusiasmus! In einem anderen, uns noch fremden Land angekommen, brannten unsere Seelen plötzlich so hell! Unsere Freundin, die von einer ganz anderen Geschichte und Kultur zu erzählen wußte, hörte uns aufmerksam zu. Wer sind wir? Woher kommen wir? Wer bin ich? Wir Menschen bleiben uns selbst ein Rätsel, sagten wir. Erzählen wir uns dramatische Geschichten, damit wir uns besser verstehen können? Um so mehr wir aber über uns nachdenken, um so weiter entfernen wir uns von Erkenntnissen und finden auch keine Lösungen! Begeistert von einer seltsam, geheimnisvollen Rätselhaftigkeit menschlicher Geschichte, zogen wir hinaus in die Nacht! Um einen letzten Drink in einer Bar zu bestellen, fuhren wir mit dem Fahrstuhl in das oberste Stockwerk eines Hotels. Durch eine tiefliegende, große Glasscheibe hindurch, blickten wir auf die gewaltige Stadt, in der wir uns aufhielten: Shanghai! Ein Meer aus Licht!